,

Buchrezension zu „Alles inklusive“ von Mareice Kaiser

Buchcover Alles Inklusive

Von Kacke, Inklusion und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft

Karina Sturm.

„Mach die scheiß Musik aus!“, ruft Mareice ihrem Mann zu, während der glatzköpfige Arzt ohnmächtig wird. Nichts lief bei Greta’s Geburt wie es sollte. Der Säugling wird seiner Mutter entrissen. Erst eine Stunde später erfährt die frisch gebackene Familie von den Fehlbildungen ihrer Tochter, doch kein Arzt weiß, wie schwer Greta eingeschränkt sein wird. In ihrem ersten Buch „Alles inklusive“ beschreibt die Journalistin Mareice Kaiser, auf ungewöhnlich ehrliche Weise, ihr Leben mit einer mehrfach behinderten Tochter.

Wir begleiten Mareice durch die Geburt Greta’s, die schwierige Zeit auf der Suche nach der richtigen Diagnose und unzählige Krankenhausaufenthalte. Die einfache Sprache und die kurzen Sätze lassen den Text lebendig wirken und reißen den Leser in jedem Kapitel mit. Sofort ins Geschehen gesogen, schafft die Autorin es, einerseits, Menschen ohne Behinderung behutsam an das Thema Inklusion heranzuführen, dieses jedoch nicht zu verharmlosen, andererseits, können sich auch Betroffene in den Kämpfen mit Krankenkassen, Ärzten oder ignoranten Mitbürgern wiedererkennen.

Mareice dokumentiert nüchtern ihren Alltag, der sich rund um „Kacke“ dreht; erzählt von Darmspülungen, da Greta’s Darm sich nicht selbständig entleeren kann; schildert, wie sie täglich einen Schlauch in den Po ihres Kindes schieben muss und wie schwer ihr dies fällt. Sie lebt die ersten Monate nach der Geburt im Krankenhaus und bekommt eine Fehldiagnose gestellt, die ihre Hoffnungen zerstört. Nach und nach verliert sie dabei ein Stück von ihrem Ich, wie es vor der Geburt gewesen war.

Ihre tagebuchartige Schreibweise schafft Nähe und eine enge Beziehung zu ihr und Greta. Mareice wächst mit jedem Wort weiter in ihr neues Leben mit einer taubblinden, entwicklungsverzögerten Tochter. Sie schämt sich nicht ihre eigenen Schwächen einzugestehen und spricht offen Tabuthemen, wie Abtreibungen von behinderten Kindern, an.

„Alles inklusive“ ist ein großer Schritt in Richtung Inklusion und zeigt deutlich, wie schwer der Kampf für Greta und gegen deutsche Institutionen sein kann. Befindet sich Mareice nicht im Krankenhaus, kümmert sie sich um Widersprüche, Pflegestufen und Therapien. Fast verliert sie dabei ihre eigenen Bedürfnisse aus den Augen, bis ihr klar wird, dass sie nicht „nur“ Pflegerin, sondern auch Mensch ist.

Die Geburt ihrer zweiten Tochter Momo und die Kinder in Greta’s Kita zeigen, wie selbstverständlich die kleinen Menschen mit Behinderungen umgehen und wie einfach Inklusion sein könnte. In ihrem Blog Kaiserinnenreich kämpft die Autorin dafür „unsichtbare Krankheiten sichtbar zu machen“ und erkennt durch Troll-Kommentare wie: „Lebt ihr Nachwuchs noch? Ist ja teuer für den Steuerzahler“, wie viel manch ein Erwachsener von Greta’s Freunden lernen könnte.

Dieses Buch inspiriert dazu, die eigene Wertvorstellung zu überdenken und lädt ein, in eine Welt einzutauchen, die kaum jemand kennt. „Die Welt der anderen“, der ausgeschlossenen Familien, mit behinderten Kindern. Zu keinem Zeitpunkt fühlt man sich gequält von Fachausdrücken oder Behördendeutsch. Viel mehr ähnelt das Lesen einem Strandspaziergang, auf dessen Weg ab und an große Baumstämme liegen, die es zu überwinden gilt, bevor es wieder langsam schlendernd weitergeht.

Genau wie die Autorin, findet auch der Leser am Ende wieder zu sich selbst und lernt, dass „Liebe nicht an Bedingungen geknüpft ist“ und „Schönheit nichts mit Äußerlichkeiten zu tun hat.“ Der Name Greta wurde im Text häufig zu Great, was, wie mir auffiel, kein Tippfehler war, sondern viel mehr genau das, was dieses Mädchen war, und dieses Buch ist: GREAT!

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert