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Und täglich grüßt das Murmeltier – Anwälte, Klagen, Leid als chronisch Kranke*r – Teil I

von Karina Sturm.

Vor kaum sieben Jahren kannte ich Anwälte und Gerichte nur aus den schlechten Reality-TV-Shows im deutschen Nachmittagsfernsehen. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass ich heute eine dieser „Unschuldigen“ sein würde, die um ihr Recht kämpfen müssen. Nicht um irgendwelche Kleinigkeiten, wie des Nachbars Baum, der zu weit in mein Grundstück ragt. Nein, um essenzielle Dinge, die für mein Leben, meine Gesundheit, von unermesslichem Wert sind.

Die Klage um die Rente, ohne die ich finanziell nicht überleben könnte, dauerte ganze drei Jahre, was recht schnell ging, wurde mir gesagt. Es gibt Fälle, da zieht sich dieser Rechtsstreit bis zu zehn Jahren hin. Das muss man sich einmal vorstellen.

Zehn Jahre, in denen der chronisch Kranke nicht krankenversichert ist, wenn er nicht selbst einzahlt, was schwierig ist, wenn er keine finanzielle Unterstützung bekommt.

Zehn Jahre, in denen er von der Hand in den Mund lebt und sich keine Wohnung leisten kann.

Zehn Jahre sind mehr als genug, um alles zu verlieren, was „leben“ für die meisten Menschen ausmacht.

Menschen die zu krank sind um zu arbeiten, werden manchmal, versehentlich, vom Staat noch dafür bestraft, dass sie bereits vom Schicksal gestraft wurden.

Unfair? Ja!

Kann man was daran ändern? Kaum.

Ich habe mich lang damit aufgehalten, an der Ungerechtigkeit fast zu zerbrechen, mich gedemütigt zu fühlen davon, dass ich öffentlich als Schmarotzer betitelt wurde.

Ich habe vor jedem Termin bei Gutachtern schlecht geschlafen, bin schweißnass von Albträumen aufgewacht und musste mich unzählige Male fragen: Wie lange würde ich das noch aushalten?

Dann endlich, nach drei Jahren, schien der Albtraum vorbei zu sein. Das Gerichtsverfahren war gewonnen und es sollte erstmalig Ruhe einkehren. Ich wollte versuchen die Wunden heilen zu lassen und hoffte, mit etwas Gras über der Sache, würde ich über diese Zeit hinwegkommen und sie vergessen.

Und tatsächlich, langsam wurde es besser. Je mehr Abstand ich gewann, desto mehr verdaute ich die Traumatisierung.

Doch das sollte nicht lange anhalten. Die Bindegewebserkrankung unter der ich litt, forderte immer mehr meiner Lebensqualität ein, was hauptsächlich an meiner Halswirbelsäule zu liegen schien. Von den US-Spezialisten wurde mir schon vor Jahren zu mehreren Operationen geraten, doch leider konnte kein Arzt in Deutschland sich dazu erbarmen und die Krankenkasse lehnte mehrere Bitten um die Kostenübernahme ab. Mir war klar, dass es nahezu unmöglich werden durfte, eine OP, nicht nur außerhalb Deutschlands, sondern auch noch außerhalb der EU, bezahlt zu bekommen, aber welche Wahl hatte ich denn? Ich musste es zumindest versuchen.

Fast zwei Jahre dauert diese Klage nun schon an und viel passiert ist in der Zeit nicht. Eine Übersetzung eines Befundes hier, eine Einwilligung dort und mehr nicht. Aber jetzt soll es wieder richtig los gehen. Nämlich mit einem Gutachter, der mich untersuchen und Fragen beantworten soll. Unter anderem dazu, ob ich überhaupt eine OP brauche und ob das nicht auch wer in Deutschland machen kann. Zudem soll er beantworten, ob es denn wirklich unbedingt notwendig ist, dass der operierende Arzt etwas von EDS versteht.

Was ich dazu sagen soll, weiß ich echt nicht mehr. Berge an Befunden, die alle das Gleiche sagen auf der einen, die Aussage eines Arztes, der zu einer sehr großen Wahrscheinlichkeit den Wiki-Artikel zu EDS lesen wird und dann beschließt, das wäre genug, um kompetent über mein Leben zu entscheiden, auf der anderen Seite.

Ich soll mir all diese Demütigungen erneut antun, für eine verschwindend geringe Chance auf Erfolg? Ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Ich weiß nicht, ob ich das kann und vor allem weiß ich nicht, ob ich das will.

Wie viele von diesen unverschämten, unrealistischen Gutachten würde ich noch lesen müssen?

Würde auf diesen Blättern nicht jeweils mein Name darüber stehen, könnte man meinen, der Gutachter spräche über eine andere Person.  Aber nein, er meint mich, wenn er sagt, ich solle weiter konservative Therapie machen, obwohl ich davon immer schwächer werde, oder der sagt, klar geht das in Deutschland, aber vergisst zu erwähnen, wer so eine OP denn durchführen könnte. Genauso geht es um mich, wenn er sagt, so viele Krankheiten könnte man gar nicht haben und deshalb müsse das doch psychosomatisch sein. Oder auch dann, wenn es wieder einmal in nur einem Satz heißt: Es tut uns sehr leid Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir ihrem Wunsch nach der Kostenübernahme nicht nachkommen können.

Was das übersetzt für mich, als chronisch kranker Patient bedeutet: Ist uns eigentlich egal, dass es dir schlecht geht. Du bist einfach zu teuer. Versuch erst gar nicht mehr uns zu verklagen, du hast sowieso nie eine echte Chance.

Und so grüßt mich täglich aufs Neue das Murmeltier.

6 Kommentare
  1. Kübler sagte:

    Wenn ich sowas lese macht es mich wütend und traurig zu gleich das man so mit dir umgeht und umgegangen ist das schon ein Skandal wie ich finde und wenn man dann noch liest z.b das Krankenkassen einen Millionen Überschuss erwirtschaften dann kommt mir echt die Galle hoch .

    Liebe Karina ich wünsche dir deswegen ganz viel Kraft damit du weiter kämpfen kannst auch wenn du manchmal denkst das es ausichtlos ist jetzt hast du es bis hierher geschaft da wäre es falsch nicht mehr wieter zu machen .

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    • karinabutterfly sagte:

      Danke dir für deine netten Worte. Ich denke es geht allen gleich in Bezug auf Versicherungen und Leistungen. Ich war nicht sicher ob ich so offen drüber sprechen will, aber am Ende verändert sich ja nie was wenn keiner was sagt.

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      • Kübler sagte:

        Ich finde es gut das du so offen darüber gesprochen hast .Wenn keiner den Mund auf macht tretten wir immer auf der Stelle und kommen nie weiter. Eigentlich sollte man mit mehreren Leuten die das gleiche Problem haben für so was auf die Straße gehen .

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  2. Julia sagte:

    Liebe Karina,
    ich lese mich quer durch deine Webseite und finde mich in vielem wieder und bei anderem hoffe ich, darum rumzukommen. Bei mir steht derzeit auch EDS im Raum und die Wirbelsäule ist von oben bis unten kaputt. Ein Bandscheibenvorfall der Brustwirbelsäule führte vor einem Monat zum Querschnitt der durch eine Not-OP gottseidank behoben werden konnte. Der inkomplette Querschnitt bleibt, zwar kann ich gehen, aber nicht weit, und andere Symptome bleiben leider wohl auch. Noch so etwas das „unsichtbar“ ist… Schon davor hörte ich nur „kann nicht sein, gibts nicht, macht nix, usw…“ Gelähmt auf dem Krankenhausbett sagte der Neurochirurg wortwörtlich zu mir, er versteht nicht warum der Vorfall das ausgelöst hat, das MRT hätte nie das gezeigt, auch wenn ich gebettelt hätte, er hätte das nie operiert. Erst danach kamen sie an und sagten, der Vorfall war sehr groß, 1 mm mehr und ich wäre im Rollstuhl geblieben. Warum das MRT das nicht gezeigt hat, wissen sie nicht… Aber ich bin ja nur ein Simulant ;-)

    Mir steht wahrscheinlich etwas ähnliches bevor, Krieg mit der Krankenkasse in Österreich weil es hier keinen gibt der sich mit der Brustwirbelsäule auskennt. Ich nehme 800km hin und wieder retour in Kauf um zu einem Arzt zu kommen, der die Gesamtsituation der Wirbelsäule hoffentlich einschätzen kann und sich über eine OP in der BWS drüber traut.

    Ich danke dir von Herzen für deine Homepage, für deine Arbeit, dein Engagement für Betroffene und die Ehrlichkeit mit der du schreibst!
    Alles Liebe und viel Erfolg in Amerika! Julia

    Antworten
    • karinabutterfly sagte:

      Liebe Julia,

      ich freue mich dich auf meiner Seite begrüßen zu dürfen. Allerdings tut es mir sehr leid, dass von deiner OP zu hören. Das muss sehr hart gewesen sein. In Bezug auf MRT’s kann ich dir folgendes sagen: gerade bei EDS-Patienten, aber auch bei vielen Gesunden, kann man in einem statischen MRT häufig nicht das komplette Ausmaß eines Bandscheibenvorfall, oder einer Instabilität erkennen. Erst unter Bewegung und normaler Gewichtsbelastung (wie z. B. im Upright MRT oder beim Röntgen in Funkton wird der ganze Schaden sichtbar. Viele Spezialisten weltweit raten daher zu Upright-Mrts. In Deutschland sind diese leider nicht so beliebt und bislang trägt die Kasse die Kosten nur sehr selten (keine Regelleistung, nur auf Antrag).

      In Bezug auf OPs an der Wirbelsäule gibt es bislang kaum Neurochirurgen die Erfahrung damit haben. Die meisten Patienten reisen daher in die USA, denn die Komplikationen die durch EDS entstehen können müssen unbedingt mit einbezogen werden. Ist das nicht der Fall, kann das Ergebnis wenig zufriedenstellend ausfallen und zusätzliche OPs nötig werden.

      Gerne kannst du mich privat anschreiben und wir können etwas intensiver über dieses Thema sprechen.

      Liebe Grüße und alles erdenklich Gute

      Karina

      Antworten

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